Das Problem des zweiten Hundes
Ich rate jedem Hundelaien dringend davon ab, mehr als einen Hund zu halten.
Ihr erster Hund braucht keinen Artgenossen, um ein Rudel und sozialen Anschluss zu haben.
Der Hund ist kein Wildtier. Er ist kein Reh, der das Reh braucht. Ihr Pferd braucht andere Pferde, es lebt nicht bei Ihnen. Der Hund kann sich dem Menschen als Familienmitglied anschließen, obwohl er weiß, dass wir keine Hunde sind.
Auch für den ersten Hund ist die Lebenssituation ohne einen zweiten Hund einfacher.
Im Zwiegespräch signalisieren 99 von 100 Ersthunde, dass sie mit der Situation wie sie vor der Ankunft des zweiten Hundes war, glücklicher waren.
Besonders problematisch wird es, wenn der Neuankömmling ein erwachsener Unbekannter ist.
Würden Sie heute aus Ihrem Büro einen neuen zweiten Mann mit nach Hause bringen und sagen: „Liebling hier ist der Neue, ich bin ja so viel im Büro, da dachte ich mir ihr könntet Fußball kucken und miteinander spielen oder Motorrad fahren, was ihr Männer halt so macht..“?
Ich denke, Ihr Mann würde Ihnen sagen, dass die Männer in den anderen Häusern ihm Mann genug sind und er männerspezifische Interessen lieber mit Männern teilt, mit denen er die Familie nicht teilen muss.
Wenn Sie keine Zeit für Ihren ersten Hund haben, verbessern Sie seine Situation nicht dadurch, dass Sie die Rudelkonstellation verkomplizieren und ihm einen Artgenossen zur Seite stellen.
Artgenosse baut mit Artgenosse sofort über genetische Verzahnung tiefgreifende soziale Mechanismen auf, egal ob er es will oder nicht. Der Ersthund ist meist überfordert mit dem Spagat, in zwei Welten gleichzeitig zuständig zu sein, der Zweithund hat die Schwierigkeit, die Welt des Menschen erst gar nicht für relevant anzusehen. Alle sozial relevanten Signale kommen vom Artgenossen.
Deshalb denken viele Familien, der zweite Hund sei dumm. Genau das ist er aber nicht, er reagiert lediglich ausschließlich auf natürliche Mechanismen, Signale aus dem Verhaltenscodex der Hunde und sozial relevante Verhaltensweisen. Alles andere nimmt er in etwa so wichtig wie Sie das Schreien eines Kuckucks im Wald. Das klingt nett, hat aber für den Menschen keine Bedeutung. Schreit ein Mensch im Wald, sieht das sofort anders aus.
Die Dimension, in der der Mensch eintritt, wenn der zweite Hund in die Familie kommt, ist eine völlig andere, mit wesentlich strengeren Regeln. Alles, was nicht auf artgerechter Basis vereinbart ist, zerfällt sofort zu Staub.
Hier trennt sich die Spreu ganz gewaltig vom Weizen.
Holen Sie sich noch nicht mal dann den zweiten Hund, wenn Sie Hundetrainer werden wollen.
Lernen Sie erst Ihr Handwerk in der Welt der Hunde, nicht in der vermenschlichten Dressurarbeit, qualifizieren Sie sich definitiv für einen Posten im Familien-Rudel, warten Sie unbedingt ab, bis ihr älterer Hund Ihnen ganz deutlich versichert: Ich bin bereit, ich bin reif, ich werde dich unterstützen und der Neue wird mich nicht aus der Bahn werfen.
Wenn Sie diese Signale nicht kennen, nicht deuten können, in den älteren Hund hineininterpretieren müssen….lassen Sie es sein!
Einen zweiten Hund als „Spielkameraden“ für den ersten Hund zu holen ist schlicht eine Dummheit; es heißt für den Zweiten dass man ihn als Persönlichkeit überhaupt nicht schätzt, es heißt für ihn, dass der Grund seines Daseins in der Existenz, im Spaßgefühl des anderen liegt. Es heißt für den Ersthund, dass man ihn für einen Deppen in Kleinkindalter hält. Der erste Hund wurde als Spielkamerad für die Kinder angeschafft, der zweite als Spielkamerad für den ersten Hund. Beides ist nicht artgerecht und soziale Tierquälerei.
Es gibt keinen sozialen Anlass dazu, einen zweiten Hund zu holen. Ein Schäfer, der seine 10 Hunde in Zwingern hält, hat das Sozialleben der Hunde so geregelt, dass er sich raushält. Das regeln die Hunde unter sich. Er hat aber genügend artgerechte Arbeit für seine Hunde und deshalb geht es den Hunden dort gut. Die Beziehung des Schäfers ist eine kollegiale, berufliche, keine familiäre Beziehung. Damit ist der Hund als Hund gewürdigt, er braucht ja den Menschen nicht.
Unsere Familienhunde haben ihre „Arbeit“ innerhalb der Familie. Sie sind „Sozialarbeiter“. Deshalb berührt sie der zweite Hunde immens und es ist definitiv keine Unterstützung für den Ersthund, einen Artgenossen um sich zu haben, der den wackeligen Vereinbarungen mit dem Nicht-Artgenossen Mensch überhaupt nicht mehr verstehen kann.
Ab drei Hunden können Sie Ihre Hunde sowieso als Rudel draußen leben lassen, da braucht Sie keiner mehr. Nur, dann ist die Existenz des Hundes komplett sinnentleert, Sie haben ihnen keine Arbeit wie die eines Schäfers oder Jägers und Sie geben ihnen auch keine Sozialaufgaben mehr, die im würdevollen Bereich zu finden wären.
Wenn man es also genauer seziert, liegt das Problem des zweiten Hundes komplett im Familiensystem, in das er geholt wird. Ist dieses Familiensystem in seiner Verstehenswelt organisiert, ist also bereits der Ersthund artgerecht in die Familie integriert, ist der Ersthund in seinem Reifeprozess an einem Punkt, an dem er erziehungsberechtigt sein kann, ist auch die Familie bereit für das wesentlich schwierigere Unterfangen, mit einem Tier kommunizieren zu müssen, das keinerlei kulturellen Kompromiss verstehen kann.
Dann gibt es kein Problem, und dann könnten Sie auch 3 Hunde haben. Three is a crowd, heißt die pädagogische Maxime dann. Drei sind ein Rudel. Dann muss ich hauptsächlich mit dem Hundechef arbeiten, den Rest macht dann das Rudel.
In der üblichen Paarkonstellation haben Sie mit Allem zu tun, was eine Paarkonstellation auslöst. Bei Hunden und Menschen heißt das: die Frau bestimmt, der Mann handelt.
Der Rüde wird, ob Ihre Hündin das will oder nicht, zuerst auf die Hündin und deren Bedürfnisse achten. Haben Sie eine sozial desorientierte Hündin, wird Ihr Rüde ab dem 6. Monat beginnen, die soziale Desorientierung der Hündin und deren System von Scheu und Aggression nach außen zu tragen. Versuchen Sie, das dann zu unterbinden, werden Sie sehen, dass es für den Rüden nicht einzusehen ist, wieso er jetzt entgegen seiner Natur handeln soll. Es ist seine Natur und nicht die Hündin, die diesen Konflikt auslöst.
Wenn Männer unter sich sind, benehmen sie sich anders, als wenn die Tür aufgeht und eine Frau kommt dazu. Das ist so, das ist Teil des Sozialkonstrukts von Mutter Natur. Das wird sich auch niemals ändern.
Sie als Mensch müssen also sowohl die Desorientierung der Hündin als auch die Handlung des Rüden, die er aus deren Anwesenheit folgert, in den Griff bekommen, artgerecht und glaubwürdig mit einem Sozialkodex überschreiben, der Ihnen die Verantwortung für Beide! überträgt.
Das ist eine Arbeit für Profis und damit meine ich nicht die Agilitytrainerin, denn die hat in ihrem Hundechaoshaufen genau die Probleme von denen ich schreibe, denn Agility kann nicht artgerecht sein, es ist Turnen und nicht Jagen.
Es ist hohl wie ein Schokoladenhase.
Sollten zwei Hündinnen da sein, gibt es familienintern Ärger, sollte ein Rüde dabei sein familienextern.
Alles, was nicht über Rangordnung und mit Mitteln der artgerechten Kommunikation aufbaut ist – dem, was ich soziale Sprache nenne – wird schlagartig zunichte sein, wenn ein zweiter Hund auftaucht. Alles, was nicht über Körpersprache, nicht über konsequente Rangordnung kommuniziert ist, hat keine Bedeutung mehr für sie.
24h am Tag.
Stellen Sie sich vor, Sie würden auf den Mars entführt und leben 2 Jahre unter Marsianern; plötzlich bringt Ihnen die Marsianerfamilie, deren Regeln sie mühsam erlernt haben und die sie Kunststücke machen lässt weil sie weiß wie man ihr Endorphinausschüttung anregt, einen zweiten Menschen als Spielgefährten mit.
Ist es ein Kind, geht es ja gerade noch, sie werden aber instinktiv versuchen, das Kind zu schützen. Ist es ein anderer Erwachsener, wird es unglaublich kompliziert, alles was Sie miteinander tun, wird Sie von den Marsianern entfernen.
Mir ist bewusst, wie sehr dieser Vergleich hinkt, wir sind für den Hund nicht ganz so fremd, ich arbeite ja auch über die genetischen Gemeinsamkeiten, es geht mir darum, bei Ihnen ein Gefühl für das Seelenleben ihres Tieres entwickeln das nicht von ihren bisherigen Bildern menschlicher Realität geprägt ist. Natur ist anders.
Mit einem Hund empathisch zu sein erfordert mehr als „einfühlen“, es ist ein Schritt in die Ungewissheit.
Nehmen Sie sich keinen zweiten Hund zu sich, machen Sie es ihrer Familie nicht zu schwer.
Sie können die Verantwortung für mehr als einen Hund nur führen wenn Sie sehr weit entwickelt sind, wenn Sie ihren kleinen Wolf gut kennen und top kommunizieren können.
Auch dann wird es anstrengend, auch dann sollten Sie im besten Falle ein Paar ohne Kinder sein.
Sollten Sie sich vom Auslands-Tierschutz über Moralapostelei in eine Situation mit mehreren Hunden manövriert haben, beenden Sie diese Situation sofort und geben Sie sofort alle Hunde bis auf einen ab.
Die Hunde werden es Ihnen sehr danken. Suchen Sie sich verantwortungsvolle Menschen, die diese Tiere dann nicht mit Leckerlies traktieren.
Die schönste Version, vom Hund zu lernen ist und bleibt, sich den einen Lehrer in die Familie zu holen, dem einen Lehrer Gehör zu schenken, zusammenzuwachsen und das gemeinsame Leben zu genießen. Einander zuzuhören, sich aufeinander einzulassen, eins zu werden. Ein Hund braucht keinen zweiten Hund in der Familie, er braucht ein zuverlässiges Sozialsystem. Das kann ein Mensch sein, dieser muss jedoch mit ihm auf seiner Ebene leben wollen.
Fortsetzung folgt